Innere Zerrissenheit: Ich mache nichts. Das geht doch nicht! Ich bin hin und her gerissen.

Du hast einen Tag frei, nur für dich oder du bist in der schwedischen Einsamkeit wie ich gerade. Ich sitze mit einem Tee und Buch in einer Art Gewächshaus, das mit Blick auf das Meer vor Wind und Regen schützt. Meine Gedanken schweifen ab. Eine innere Stimme fragt mich hartnäckig: „Müsstest du nicht eigentlich Sport machen, wandern, meditieren, was für deine Selbstständigkeit tun?“ Egal was, dieser inneren Stimme ist wichtig, mich darauf hinzuweisen, dass gerade die Zeit verfliegt und ich sie sinnvoller nutzen sollte. Mein „schlechtes Gewissen“ ist da. Herzlich Willkommen. Im ersten Moment versuche ich diese innere Stimme ruhig zu stellen. Doch die Gedanken schweifen weiter ab, die Stimme wird lauter, mein Körper verlangt nach etwas, mein Kopf ebenfalls. Nur was? Umsetzung. Etwas machen, leisten, erreichen.

Eine andere Stimme kommt dazu: Genieße die Ruhe, das Lesen, deinen Tee, den Blick auf das Meer. Es ist Zeit für dich, deine Art zu entspannen. Mein Körper wird schwer, lehnt sich zurück in den Sessel.

„Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“

Richard David Precht

Beide Stimmen sind gleichzeitig da, mal lauter, mal leiser. Sie gehören beide zu mir. Es sind zwei Anteile, innere Motivationen, von mir. Sie haben beide eine wichtige Funktion und positive Absicht. Seitdem ich das für mich erkannt habe, nehme ich sie wahr, höre sie. Und ich weiß, es gibt noch weitere Anteile in mir. Alle sind in verschiedenen Kontexten entstanden, um mich zu stärken, zu schützen. Jedoch sind sie vielleicht nicht in jedem Kontext heute noch passend.

Alle Emotionen, Gedanken und Handlungen sind Teile von uns mit einer positiven Absicht

Ich gehe in den Kontakt mit mir und den inneren Stimmen. Wie fühle ich mich im Kontakt mit beiden Anteilen? Die innere Stimme, die mich zu Leistung antreibt und das „Nichtstun“ kritisiert, löst in mir Hektik, Aufregung, Anspannung aus. Ich fühle mich unwohl. Mein Geist und Körper sind unruhig. Es taucht eine Angst auf, etwas zu verpassen, nicht genug zu sein. Und auch eine Art Ärger über mein „Faulsein“. Diese Angst und dieser Ärger stressen mich. Trotzdem bleibe ich in Kontakt und frage mich, was der Grund für diesen Leistungsanteil ist, warum die innere Stimme in diesem Moment laut wird und welche positive Absicht sie verfolgt. Denn: Alle Anteile in uns, alle Emotionen, Gedanken und Handlungen haben einen Sinn! Was möchte der Leistungsanteil für mich erreichen? Gut sein, etwas erreichen, im Vergleich zu anderen mithalten können… Zufriedenheit mit mir selbst. Ich danke dieser inneren Stimme dafür, dass sie mich daran erinnert, und dass der Anteil dies für mich erreichen möchte.

Was möchte nun der Entspannungsanteil für mich Gutes tun? Das liegt auf der Hand, oder? Ruhe, Entspannung, Zeit für mich, Wohlbefinden … Zufriedenheit. Der Kontakt mit dieser inneren Stimme fühlt sich wohlig an. Es tauchen Freude, Leichtigkeit und Ehrfurcht auf. Denn ich genieße diesen einzigartigen Moment am Meer in Schweden mit einem Tee und einem Buch.

Beide Stimmen sprechen mit mir aus einer gleichen positiven Absicht heraus: Zufriedenheit mit mir selbst.

Und doch fühlt es sich wie ein innerer Kampf an, wie eine innere Zerrissenheit.

„Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“

Johann Wolfgang von Goethe

Ich setze beide in Gedanken auf einen Felsen im Meer und lasse sie miteinander sprechen, um gemeinsam einen Weg zur Zufriedenheit für mich zu finden. Ich nutze die Macht, Weisheit und Verlässlichkeit des Unbewussten und die mentale Kraft von Bildern, die wissenschaftliche Studien bestätigen.

Die beiden inneren Teile sind längst zu Fantasiegestalten geworden, die sich über den Kontakt freuen. Sie werden gesehen. Ich bin mit mir im Kontakt. Ich sehe mich. Ich nehme mich selbst wahr und was in mir vorgeht. Ich spüre innere Kraft durch die positive Absicht der beiden Stimmen und kann sie nun wieder integrieren und mich mit voller Aufmerksamkeit meinem Buch und Tee mit Blick auf das schwedische Meer widmen. Zufriedenheit strömt durch mich durch.

Innere Anteile sind für unsere neurobiologischen Grundbedürfnisse zuständig

Für einen sinnvollen Umgang mit einer „inneren Zerrissenheit“ bzw. einem „inneren Konflikt“ ist es wertvoll, die „inneren Anteile“ oder auch „Ich-Zustände“ zu verstehen. Neurobiologisch betrachtet, versuchen unsere Persönlichkeitsanteile unsere tief verwurzelten Grundbedürfnisse nach Sicherheit, Zugehörigkeit, Status und Leichtigkeit zu erfüllen. Sie dienen uns als kraftgebende Ressourcen, aus denen wir für uns ein starkes inneres Team entwickeln können. Unser Ziel darf es nicht sein „schwierige Anteile“ bzw. „störende innere Stimmen“ zu eliminieren, um den „inneren Konflikt“ zu lösen. Es geht eher darum, die unterschiedlichen Anteile in Kontakt und Kooperation miteinander zu bringen (so wie verschiedene Perspektiven in einem Sport- oder Arbeitsteam) und damit auch in echten Kontakt mit sich selbst zu kommen mit all den verschiedenen Persönlichkeitsfacetten, die wir haben. Sei neugierig und erforsche, was deine Anteile für dich erreichen oder schützen wollen. Nimm deine inneren Stimmen wahr und höre ihnen zu, höre dir zu.

Du bist neugierig und möchtest deine Persönlichkeitsanteile kennenlernen? Oder du merkst oft eine innere Zerrissenheit, die du gern in eine innere Stärke verwandeln möchtest?

Mit viel Verständnis und einem offenen Ohr für dich und dein Thema, begleite ich dich mit neurowissenschaftlich und psychologisch fundierten Methoden.

Ich freue mich auf ein Kennenlernen mit dir.

PS: Bereits in Kindertagen legen wir unsere Schutzstrategien fest, um unsere Grundbedürfnisse wie Zugehörigkeit und Sicherheit zu erfüllen. Als innere Stimmen festigen sie sich über die Jahre, wenn sie einmal Erfolg gebracht haben. Im Laufe des Lebens brauchen sie ggf. eine Anpassung. Dazu ist es wichtig, sie überhaupt wahr- und anzunehmen mit Dankbarkeit und Würdigung. So können wir auch entscheiden, was wir wie an unsere Kinder weitergeben wollen.

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